Tag 386 – Börse ohne Verantwortung

4. Januar 2015

Krisen, Kriege, Entlassungen, Epidemien – schlechte Nachrichten lassen Börsenkurse fallen und erlauben so einem Anleger einen ‘günstigen’ Einstieg und die Aussicht auf einen möglichst hohen Profit, wenn die Aktie später wieder an Wert zulegt.

„Als Aktienkäufer hat man auf solche Ereignisse keinen Einfluss, deshalb gebe es keinen Grund, sich schuldig zu fühlen, selbst wenn man von der Situation profitiere. Schuld setzt Verursachung voraus und die sei in solchen Fällen nicht gegeben.” – Georg von Wallwitz, Manager eines Investmentfonds

„Viele Anleger sind eher bequem und möchten gar nicht so genau wissen, wie die jeweiligen Geschäftspraktiken ethisch zu bewerten sind.“ – Bernd Irlenbusch, Professor für Wirtschaftsethik

„Natürlich bewegen mich persönlich Nachrichten über Massenentlassungen oder Flüchtlingsdramen, aber ein Profi bewerte solche Nachrichten danach, ob sie gut oder schlecht seien für die Kurse.” Fidel Helmer, dem Chefhändler der Privatbank Hauck & Aufhäuser

Wenn ich mir die heutige Debatte darüber anschaue, ob es ethisch vertretbar ist, finanziell von Krisen zu profitieren, fällt mir eine Sache auf, alle Beteiligten weisen jede Verantwortung von sich, und bedienen sich eines Argumentes | einer Handlungsweise, die fast schon zum Dogma erkoren wird: dass man strikt trennen solle zwischen dem Mitleid mit Menschen in Krisengebieten und der eigenen Geldanlage.

Allesamt behaupten sie, sie hätten keinen Einfluss auf die globalen bzw. nationalen Entwicklungen, ob sie nun das Geschäft machen oder nicht, würde den Verlauf der Welt nicht ändern, also warum nicht?  – Warum nicht auf diese Weise profitieren? Es klingt fast logisch. Als ‘Beobachter’ steht man schon fast als ‘dumm’ dar, wenn man solche Chancen nicht ‘nutzt’.

https://www.flickr.com/photos/nromagna/

https://www.flickr.com/photos/nromagna/

Diese Sichtweise – in der man sich NICHT als verantwortlich sieht, setzt eine Tatsache voraus, man sieht sich Selbst als Leben völlig getrennt von allen anderen Lebensformen. Wir handeln dann nicht als Menschen unter Mitmenschen, wir handeln als ‘Aktienkäufer’ auf einer ‘Geschäftsbühne’, die scheinbar nichts mit den anderen ‘Lebensbereichen’ zu tun hat. Wir erlauben es uns als ‘Aktienkäufer’ keine Mitmenschen mehr zu sein. Nach dem Motto: “Ich als Mensch habe Moral, da berührt mich Leid und Schicksale anderer Mitmenschen – Ich als ‘Aktienkäufer’ schalte meine Emotionen aus – nur so kann ich ‘Profit’ machen.”

Und wir nutzen das Wort ‘Emotion’, obwohl es hier in Wahrheit um Verantwortung geht. Aber es würde nicht mehr so überzeugend klingen, wenn wir sagen würden: “Als Aktienkäufer/-händler oder Banker schalte ich meine Verantwortung aus.” “Als Aktienkäufer/-händeler bin ich nicht mehr für das was ich als Mensch anderen Mitmschen antue verantwortlich.”

Sind Aktienkäufer/-händler denn keine Bürger mehr? Bürger, die wählen gehen, die ihre Regierungen beauftragen. Bürger, die aktiv oder passiv die Geschicke dieser Welt lenken?

Wir haben diese haltlose Vorstellung, dass wenn wir uns die Augen zuhalten und das Geschehen ausblenden, wir auch keine Verantwortung mehr dafür tragen. Wir haben diese wörtlich verrückte Vorstellung, dass es die Krise oder den Krieg oder das Leid nicht ändert, wenn wir in die Krise, den Krieg oder das Leid investieren. Wir warten auf den Abfall der Aktie, auf den Zusammenbruch, auf die nächste Krise, um dann einzusteigen, um dann den möglichst größten Profit zu erzielen. Denn das ist es, was man auf der Börse tut – man investiert. Und zur Zeit kennen wir auch nichts anderes, als in unseren eigenen Untergang zu investieren…

Für mich steht es nicht zur Debatte ob und was sich auf der Börse ändern müsste. Die Börse sind wir. Menschen ohne Moral kreieren eine Börse ohne Moral, und eine Börse ohne Moral kreiert eine Welt ohne Moral.

Für mich steht fest, dass WIR als Mitmenschen uns verändern müssen. Wir müssen unsere Vorstellung und unsere Sicht vom Profit ändern. Es ist inakzeptabel, dass man Praktiken, die Krisen, Leid und Krieg herbeiführen als ‘profitabel’ erachtet und in sie investiert. Es ist inakzeptabel, dass wir für bestimmte Lebensbereiche glauben KEINE Verantwortung zu tragen.



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